Ausgehend von der Überzeugung, dass sich Judenverfolgung und Holocaust der narrativen Darstellung entziehen und eine atmosphärische oder illustrative Annäherung an die Progrome des 9. November 1938 die Verharmlosung des Völkermordes und eine Verletzung der Würde der Opfer bedeutet, haben wir eine Klanginstallation entworfen, die auf konzeptioneller Ebene die Leerstelle, die die Vernichtung der Juden und anderer Bevölkerungsgruppen in das Leben der Völker Europas gerissen hat, thematisiert.
Tag/Innen
Die Klanginstallation im Innern des Collegium Hungaricum besteht aus zwei Teilen: einer zweikanaligen Installation am Südfenster des Treppenhauses im ersten Stock und einer sechskanaliger Installation direkt an der Treppe im ersten, zweiten und dritten Stock.
Durch das direkt über dem Eingang gelegene Südfenster des ersten Stocks fällt der Blick auf die Dorotheenstraße. Über Lautsprecher sind die Geräusche der Straße zu hören. Aus diesem Klangmaterial werden ein bis drei schmale Frequenzbänder herausgefiltert. Es entstehen akustische Leerstellen, was auf den durch Vertreibung und Holocaust entstandenen Verlust verweisen mag. Die Frequenzbänder, die aus den Straßenklängen live herausgefiltert werden, wechseln über die Zeit. Sie sind aus einer – extrem verlangsamten – Kontrapunktstudie Arnold Schönbergs abgeleitet, die dieser am 10. November 1938 im kalifornischen Exil schrieb, und die als "Kristallnachtfuge" bezeichnet wird.
Im Treppenbereich hingegen werden die Frequenzbänder wiedergegeben, aus den Klängen der Dorotheenstraße herausgefiltert wurden. Dabei erklingt die erste Stimme im ersten Stock, die zweite im zweiten und die dritte Stimme im dritten Stock. Die Filter sind in diesem Teil der Installation steiler gewählt als am Südfenster des ersten Stockes, so dass die abgestrahlten Klänge sich Sinustönen annähern. Diese sind kaum zu orten. In Abhängigkeit von den aktuellen Straßenklängen, die sie artikulieren, changieren sie in der Lautstärke. Die Übergänge und Verbindungen zwischen den drei Stimmen/Ebenen vollzieht der Besucher selbst durch seine Bewegung im Treppenhaus.
Nacht/Außen
Außen erzeugen wir eine Leerstelle auf visuellem Wege. Auf der Ebene des zweiten und dritten Stockwerks befindet sich auf der Südfassade des Collegium Hungaricum ein großes Panoramafenster, das nachts qua Rückprojektion als Videoscreen genutzt werde kann. Hier wird nun live ein Videosignal übertragen, das von einer Kamera stammt, die von einem Fenster der Nordfassade aus auf die dem Gebäude gegenüberliegende Häuserzeile der Bauhofstraße gerichtet ist. So entsteht eine visuelle Öffnung in der Südfassade, durch die man durch das Gebäude hindurchschauen kann.